Grundideen einer guten Beziehung

Welche Grundlagen hat eine stabile, vertrauensvolle Beziehung? Was macht eine sichere Bindung aus? Welche Bedürfnisse spielen eine besonders große Rolle in einer Paarbeziehung? Ein kleiner Überblick über die grundlegenden Themen der Paarberatung

PAARTHERAPIE

L. Fischer

11/10/20234 min read

Was bedeutet Beziehung?

Beziehung bedeutet an erster Stelle ein besonderes Vertrauensverhältnis: Ich vertraue Dir, dass Du mir nicht wehtust und mir Gutes willst. Gleichzeitig will auch ich versuchen dir nicht weh zu tun und dir Gutes zu tun. Was passiert, wenn dieses Vertrauen missbraucht wird, können wir an einem der häufigsten Paartherapie-Themen sehen: Untreue. Un-Treue beinhaltet schon, dass jemand sich nicht an ein Versprechen gehalten hat. Treue als Kern des oben genannten Vertrauensverhältnisses: Ich stehe zu dir und will dich nicht verletzen, in dem ich mich jemand anderem zuwende. Auch: Das zwischen uns, ist besonders und existiert nur zwischen uns.

Treue und Vertrauen als Konstrukte zeigen uns, wie besonders schützend und behutsam wir mit einer Beziehung umgehen sollten. Stabilität und Sicherheit scheinen wichtige Bestandteile des Versprechens zu sein. Besonders zu Beginn einer Beziehung können einzelne Aussagen, Blicke oder Nicht-Einhalten von Absprachen das Kartenhaus schnell zum Einstürzen bringen. Je mehr Beziehungszeit und je mehr gemeinsame Verpflichtungen, desto fester und stabiler wird das Kartenhaus. Und dann ist da noch die Ehe: das gesellschaftliche Konstrukt, dass etwas so Fragiles, wie eine Bindung, fester und stabiler erscheinen lassen soll, in dem es zum Einen das explizite Versprechen von Treue und Stabilität beinhaltet und zum Anderen eine Trennung organisatorisch deutlich schwieriger bis früher unmöglich, macht. Allein das Vorhandensein einer Eheschließung zeigt uns, wie zart und zerbrechlich eine Bindung zu zweit eigentlich ist.

Am Anfang steht die Symbiose: Bindung über alles

Zu Beginn einer Beziehung, in der Verliebtheitsphase, erleben wir große Gefühle, große Sehnsucht, unsere Gedanken schweifen ständig zur begehrten Person und wir können es kaum erwarten wieder von ihm*ihr zu hören oder zu sehen. In dieser Phase ist es unheimlich wichtig, dass wir viele Gemeinsamkeiten entdecken und uns gesehen und verstanden fühlen. Unser Bindungsbedürfnis hat in dieser Zeit die absolute Oberhand und sagt uns „Schau darüber hinweg, dass sie die Küche immer so unordentlich hinterlässt und Termine verpeilt. Hauptsache, ihr seid euch nah“. Es sorgt dafür, dass wir eigene Bedürfnisse eher mal hintenanstellen, dass wir dem*der Anderen viele Fragen stellen, sie*ihn genau kennen lernen wollen und am besten eigentlich gar nicht viel reden, sondern uns tief in die Augen schauen oder körperlich nah sein. Bindung hat den Zweck Beziehung aufzubauen und zu halten und das ist entscheidend in der Kennenlern- und Verliebtheitsphase. Wenn wir von Anfang an eine Liste führen würden mit all den Dingen, die uns stören oder potenziell in der Zukunft stören könnten oder wenn wir in dieser Zeit schon darauf bestehen würden, das größere Stück vom Kuchen zu bekommen („Einfach, weil ich es verdient habe“), dann würde Bindung nur schwerlich zustande kommen. Bindung ist darauf angewiesen, dass wir unser eigenes Ego hintenanstellen und uns ganz auf das Gegenüber einlassen.

Ein häufiger Wunsch: „Früher war alles besser“

Viele Paare kommen in die Paartherapie und wünschen sich „Am liebsten sollte es wieder so sein, wie ganz am Anfang: Als du mir noch Blumen gebracht, mir stundenlang verliebt in die Augen geschaut und alle Termine nach mir ausgerichtet hast“. Aus dieser Beschreibung spricht die maximale Bindung, der Wunsch nach Symbiose, nach ungeteilter Aufmerksamkeit und Priorisierung. Und sicherlich wäre es auch schön, immer so behandelt zu werden und jemand anderen so zu behandeln. Nicht wenige Menschen entscheiden sich heute für den Weg der immer neuen Verliebtheit, wie in polyamorösen oder häufig wechselnden Beziehungen. Und wer kennt den Wunsch in einer gut funktionierenden, langjährigen Beziehung nicht, nochmal so aufgeregt und frisch verliebt zu sein, wie am Anfang. Diese Sehnsucht nach Verliebtheit ist nicht ohne Grund sehr häufig die Ursache für eine Liebesaffäre oder Flirts am Arbeitsplatz.

Das Leben geht weiter…

Leider kann keine Beziehung langfristig in der Verliebtheitsphase verbleiben, sondern das Leben passiert: Für beide Individuen gibt es neue Herausforderungen im Leben, die Umstände ändern sich, Kinder werden geboren (neue Rollenverteilung) oder es wird im Job aufgestiegen (mehr Zeit und mehr Verantwortung) oder auch eine*r von beiden macht eine Psychotherapie oder erlebt einen Schicksalsschlag und plötzlich kommt ganz viel Bewegung in die Beziehung. Innere und äußere Veränderungen eines*r Einzelnen tragen dazu bei, dass beide Partner*innen reagieren müssen. Sich entscheiden müssen: „Wie möchte ich damit umgehen, wenn Sie jetzt plötzlich ganz anders ist? Wie möchte ich mein neues, wichtiges Bedürfnis in dieser Beziehung wahrgenommen wissen? Was lerne ich aus dieser Lebenserfahrung und kann ich nicht einfach vergessen oder wieder verlernen?“

Nächster Entwicklungsschritt in der Beziehung: „Wer bin ich?“ und „Wer bin ich mit dir?“

Beziehung muss nun einiges aushalten, die Bindung muss einiges aushalten. Sie muss aushalten, dass eine*r oder beide sich ausdifferenzieren, sich abgrenzen, sich behaupten auch gegenüber dem*der Anderen. Sie muss stark genug sein, diese Bewegungen möglichst flexibel mitzugehen und sich immer wieder anzupassen an die neuen Bedingungen. Es ist nicht unüblich, gerade bei traditionellen Rollenbildern, dass Partner*innen nach 10 Jahren Hausfrauen-Dasein oder Versorger-Dasein „plötzlich“ sagen: „Ich will das so nicht mehr“. Oder dass ein*e Partner*in einen Schicksalsschlag erleidet oder eine Trennung von einer*m Freund*in erlebt und für sich feststellt: „So möchte ich nicht enden“. Dann können neue Prioritäten im Leben dazu führen, dass auch das Verhalten innerhalb der Beziehung verändert wird („Ich will wieder arbeiten gehen“ oder „Ich will nicht mehr so viel arbeiten“ oder „Ich will wieder mehr Zeit für Hobbies haben“) und das Gegenüber sich damit irgendwie zurechtfinden muss. Manchmal kippt das Gewicht dann zu stark in Richtung Selbstbehauptung und ein*e Partner*in steigt aus der gemeinsamen Beziehungswaage aus. Von daher ist es für die Beziehung auch in dieser Phase wichtig die Bindung zu halten, aber gerade so viel, dass persönliche Weiterentwicklung noch möglich ist.

Ein häufiges Problem der heutigen Zeit: Selbstbehauptung ohne verlässliche Bindung

Wenn Paare es schaffen diese immer wieder aufkommenden Themen von Selbstbehauptung zu integrieren in die Beziehungsgeschichte, dann kann Beziehung und Bindung zur Höchstform auflaufen: als sichere Basis für Weiterentwicklung. Wenn ich den Eindruck habe, dass ich, so wie ich bin, angenommen werde und mein*e Partner*in mich trotz und wegen all der Eigenschaften liebt und zu mir steht, auch wenn ich mich verändere – dann habe ich die Sicherheit mich auszuprobieren, Fehler zu machen, hinzufallen und wieder aufzustehen und mich dadurch weitaus mehr und besser entfalten zu können, als ohne eine solche Bindung. Das ist in meinen Augen ein häufiger Trugschluss der Dating-Generation von heute, die vor allem auf Selbstbehauptung setzt und ab einem bestimmten Zeitpunkt/Alter keine Kompromisse mehr eingehen möchte und zum Beispiel Kriterienkataloge in die Tinder-Profile schreibt: Selbstbehauptung und Autonomie ohne sichere Bindung kann funktionieren. Aber meistens zum Preis hoher Unsicherheit, Einsamkeit und einem ständigen Hinterfragen: „Bin ich richtig so, wie ich bin?“

Selbstbewusstsein und ein hoher Selbstwert sind soziale Konstrukte und müssen als solche in Beziehungen immer wieder hergestellt, gespiegelt und bestärkt werden. Und eine sichere Bindung kann uns dabei nur unterstützen und bestärken unseren eigenen Weg zu finden.