Freundschaft Plus

Freundschaft Plus - kann das funktionieren? Sind F+-Beziehungen weniger aufwändig als feste Paarbeziehungen? Wird nicht eine Person am Ende immer verletzt in diesem Beziehungsmodell? Diese Fragen möchte ich einmal aus schematherapeutischer Sicht näher beleuchten. Teile dieses Textes erschienen zuletzt in der Print-Ausgabe des Weser-Kuriers vom 03./04.02.24

PAARTHERAPIE

L. Fischer

2/4/20243 min read

Was bedeutet Freundschaft Plus?

Freundschaft Plus als Beziehungskonstrukt bedeutet „Wir sind befreundet und dann beginnen wir auch eine sexuelle Beziehung, ohne uns zu verpflichten“. Es ist damit mehr vertraut als ein „One-Night-Stand“ und weniger bindend als eine Paarbeziehung. Der Begriff wird heutzutage jedoch häufig auch im Online-Dating genutzt, um eine sexuelle Beziehung zu beschreiben, die mehr als einmal stattfindet und bei der man vor dem Sex zusammen essen geht und danach vielleicht noch beieinander übernachtet. In diesem Falle kennen die beiden Personen sich eigentlich nicht, treffen sich zu einem ersten Date und stellen dann fest: „Wir finden uns körperlich anziehend, verstehen uns auch gut, aber können uns nicht vorstellen, dass wir uns verlieben, deshalb machen wir eine Freundschaft Plus.“

Die Freundschaft Plus erfüllt dabei zwei von drei wichtigen Beziehungsbedürfnissen: Es gibt emotionale Nähe und Vertrautheit, sexuelle Intimität und Leidenschaft, aber eben keine Verpflichtung und keine Verbindlichkeit. Wenn beide Personen in einer Freundschaft-Plus genau diese Bedürfnisse erfüllt haben möchten und kein Bedürfnis nach mittelfristiger Sicherheit der Bindung oder Exklusivität haben, dann kann dieses Modell (theoretisch) wunderbar funktionieren.

Wie unterscheidet sich Freundschaft Plus von einer Liebesbeziehung?

Wenn wir das Modell auf einer Bedürfnis- und Gefühlsebene betrachten und versuchen von einer Paarbeziehung oder einer „Liebesbeziehung“ abzugrenzen, dann fällt auf, dass es eigentlich nicht viele Unterscheidungsmerkmale gibt. Freundschaftliche und „Liebes“-Gefühle habe einen hohen Überschneidungsgrad: Vertrautheit, Humor, Wärme, Zuneigung, Verantwortung und Fürsorge, sich selbst wohl fühlen in der Gegenwart des*der Anderen. Bei „Liebe“ würden einzig noch die sexuelle Anziehung/körperliche Nähe und das Gefühl des „Verliebt“-Seins hinzukommen. Hier sehen wir, dass das Modell Freundschaft Plus die Unterscheidung in dem Sinne noch mehr in den Graubereich zieht, in dem es die körperliche Nähe, die eigentlich Liebes-Beziehungen vorbehalten ist, mit vereinnahmt. Übrig bleibt als Unterscheidung also nur noch das „Verliebt-Sein“ und das kann schnell entstehen, wenn alle anderen Bedürfnisse in einer Freundschaft-Plus Beziehung erfüllt werden. Und genau das stellt auch einen großen Vorteil von Freundschaft Plus dar – wenn beide sich verlieben, kann eine Paarbeziehung daraus entstehen, bei der man beim Kennenlernen ein geringeres Risiko eingeht.

In meinen Singleberatungen kann ich beobachten, dass die Abgrenzung von „Was ist noch Freundschaft Plus und was ist schon Paarbeziehung“ jedoch eine große Herausforderung darstellt. Bedeuten feste Termine schon zu viel Verbindlichkeit? Wird die Freundschaft Plus monogam geführt? Planen wir Urlaube gemeinsam? Die Grenze zu einer Paarbeziehung kann dabei immer wieder verschwimmen und muss ständig ausdiskutiert werden und das erfordert Arbeit, viel Kommunikation und ein ständiges Hin- und Herpendeln zwischen den Bedürfnissen Selbstbehauptung und Bindung.

Was passiert, wenn Gefühle entstehen?

Die Abgrenzung der eigenen Gefühle gelingt häufig nur für eine kurze Zeit. Sobald eine der beiden Personen „Gefühle entwickelt“ – sich also verliebt und sich damit zwangsläufig mehr Verbindlichkeit wünscht, gerät das Konstrukt ins Wanken und das Gegenüber sieht sich gezwungen, sich stark abzugrenzen, was sehr verletzend sein kann. Freundschaft Plus geht in der Praxis häufig mit schmerzhaften Brüchen und einer ständigen Veränderung einher, die immer wieder beobachtet und der immer wieder begegnet werden muss. Gleichzeitig gibt es, gerade weil das Commitment ja geringgehalten wird, auch häufig keinen Grund bei der Beziehung zu bleiben und so sind wir beim größten Nachteil: Die Freundschaft wird langfristig kaputt gehen und häufig gibt es kein Zurück zu dem Zustand zuvor.

Freundschaft Plus bedeutet allgemein, wie jedes nicht monogame, nicht verbindliche Beziehungskonzept, offene, regelmäßige und ehrliche Absprachen, die die „Verpflichtung“ einer festen Paarbeziehung ersetzen. Das kann sehr anstrengend sein und erinnert dann schnell wieder an die „Kraft“, die man in eine verbindliche Paarbeziehung stecken würde. Sodass sich für mich am Ende häufig die Frage stellt, ob Freundschaft Plus wirklich so viel „pflegeleichter“ ist als eine Paarbeziehung?

Welche Themen könnten in einer Singleberatung bearbeitet werden?

Wenn Sie bereits mehrere Freundschaft Plus Beziehungen ausprobiert haben, immer der*diejenige sind, der*die sich verliebt oder immer der*diejenige, die keine Gefühle entwickelt, dann könnte eine Singleberatung Ihnen helfen sich über die emotionalen Mechanismen auf Ebene Ihrer Grundbedürfnisse bewusst zu werden. Schematherapeutisch würden wir da ganz genau schauen, welche Aspekte es Ihnen schwer machen, sich einzulassen oder sich abzugrenzen oder aber die feine Balance aus beidem zu halten.

So gibt es viele Menschen, die mit der Unsicherheit und der Unverbindlichkeit einer Freundschaft Plus Beziehung eigentlich nicht zurechtkommen, zum Beispiel, weil Sie Trennungen aus der Ursprungsfamilie kennen oder Angst vor dem Verlassenwerden haben oder sich nur schwer selbst beruhigen können.

Andere Menschen erleben das Modell als „zu angenehm“, da es kurzfristig ihr Bedürfnis nach Nähe stillt, aber langfristig den eigentlichen Wunsch nach zuverlässiger, langjähriger Bindung nicht erfüllen kann. Sie haben vielleicht Angst sich auf etwas Festes einzulassen, weil sie erlebt haben, dass sie dann sowieso nur enttäuscht werden oder weil die intensiven Gefühle, die bei mehr Verpflichtung entstehen könnten, ihnen überwältigend erscheinen oder weil sie von sich wissen, dass sie sich in einer festen Beziehung sehr schnell, sehr abhängig fühlen. Viele Gründe, weshalb das Modell Freundschaft Plus von allen Beteiligten gut überlegt und reflektiert werden sollte, damit es gelingen kann. Eine Beratung kann helfen sich über diese grundlegenden Themen im Klaren zu werden und eine bewusste Entscheidung treffen zu können, welches Beziehungsmodell für mich das Richtige ist und worauf ich bei der Gestaltung von Beziehungen achten sollte, damit meine Bedürfnisse erfüllt werden.